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Geheimprojekt Mittelbau

Überliefert ist die Weissagung eines mittelalterlichen Mönchs, der zufolge das Schicksal unseres Landes einmal an den weißen Bergen des Kohnsteins entschieden werde. Und diese Weissagung hat einen wahren Kern offenbart. Zwar ist bisher das Schicksal unseres Landes nicht am Kohnstein entschieden worden, aber er hat indirekt die ganze Welt verändert. Das Nationalsozialistische Regime wollte im Kohnsteinmassiv bei Niedersachswerfen im Südharz, in einer riesigen unterirdischen Fabrik, die V-Waffen als kriegsentscheidende Waffe bauen. Dazu ist es glücklicherweise fast nicht mehr gekommen.

Aber die Siegermächte USA und Sowjetunion haben sich die Hinterlassenschaften der deutschen Rüstungsindustrie und deren Forschungen und Entwicklungen als Kriegsbeute angeeignet. Sie haben den technologischen Vorsprung für den Bau von Strahlflugzeugen und Stahlraketen in ihre Länder transferiert und die Spezialisten wurden auch gleich mitgenommen. Diese Technologien wurden weiterentwickelt und damit bis heute das militärische Gleichgewicht in der Welt zu Ihren Gunsten verändert. Auch die Ursprungstechnologien der Raumfahrt, dieser beiden Länder, basierten auf dem Know-how vom Kohnstein.

Aber zurück zu den Anfängen. Geologisch besteht das Kohnsteinmassiv aus bis zu 400m mächtigem Anhydrit, umgeben von einer Gipsschicht und oben abgeschlossen mit einer Dolomitschicht. Diese geologische Konstellation führte dazu, dass sich ab 1870 dort eine Gipsindustrie zu entwickeln begann. Mit der Synthese von Ammoniak, durch ein Verfahren von Prof. Fritz Haber, erlangte der Industriestandort Niedersachswerfen überregionale Bedeutung. Die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) siedelte sich an und die Stickstoff-Düngemittelindustrie nahm enormen Aufschwung. Dann begann der I. Weltkrieg, Ammoniak wurde verstärkt nachgefragt, es wurde zur Herstellung von Sprengstoff benötigt. 1925 wurde das Werk am Kohnstein ein Tochterunternehmen der I.G.Farben.

1935 begann am Kohnstein eine neue Epoche. Im Auftrag des Amtes für Kriegswirtschaft wurde ein gewaltiges Tunnel- und Stollensystem mit einer Länge von 1800m in den Berg getrieben. Dieser Tunnel war verzweigt mit 50 Stollen zu je 150 -200 m Länge. Diese unterirdischen, bombensicheren Räumlichkeiten sollten zur strategischen Lagerung von Rohstoffreserven wie Öl und Treibstoff dienen. 1937 wurde auch der erste Teilabschnitt in Betrieb genommen, wozu riesige 80m lange Tanks installiert worden waren. Fertig wurde das Treibstofflager jedoch nie. Denn es begann der 2.Weltkrieg und Hitler trieb in der Versuchsanstalt Peenemünde seine Strahlraketenforschung voran. Mit Erfolg, denn 1942 flog die erste Rakete (V-Waffe) mit einer Länge von 14m und einer Nutzlast von 1t, in knapp 5 Minuten 190km zurücklegte. Eine technische und eine militärische Revolution! Hitler erteilte den Befehl zur Serienproduktion. Doch die Kriegsgegner hatten Peenemünde sowie die anderen V-Waffenwerke bereits als strategisch bedeutende Ziele ausgemacht und starteten regelmäßig Luftangriffe. Es musste also ein bombensicherer Produktionsstandort gefunden werden. Auf der Suche danach fiel die Wahl auf Niedersachswerfen.

Hitlers Befehl den Kohnstein als „Geheimprojekt Mittelbau“ zur V-Waffen-Fabrik umzurüsten, wurde mit aller Konsequenz und allen verfügbaren Ressourcen umgesetzt. Die benötigten personellen Ressourcen kamen ab August 1943 aus dem KZ Buchenwald und waren Häftlinge in unzähliger Anzahl. Schon im Mai 1944 war der Umbau des Kohnsteins weitgehend abgeschlossen werden. 42 Fertigungshallen mit ca.10 Hektar Fläche waren für den Bau der intern A4 genannten Raketen bereit. Unter unmenschlichen Bedingungen hatten die eingesetzten KZ Häftlinge gearbeitet und das weltgrößte (bekannte) interirische Rüstungswerk errichtet. Viele der Häftlinge zahlten für dieses Projekt mit ihrem Leben, wie viele es waren kann auch heute nur geschätzt werden.

Mit der Fertigstellung der unterirdischen Produktionshallen im Kohnstein, war auch das Arbeitslager „Dora“ bei Niedersachswerfen fertig gestellt worden. „Dora“ war eine Außenstelle des KZ Buchenwald, die dort untergebrachten Häftlinge hatten aber vergleichsweise gute Lebensbedingungen. Schließlich sollten diese ausgewählten Arbeiter qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Aber Hitlers Konzept ging nicht auf, denn Qualität wurde nur sehr begrenzt abgeliefert. Etwa ein Drittel der hergestellten A 4 sollen nicht funktionstüchtig gewesen sein. Von Sabotage war die Rede, was nicht verwunderlich erscheint, war doch abzusehen, dass diese von ausländischen Zwangsarbeitern hergestellten Waffen gegen die eigene Heimat eingesetzt werden sollten.

Schon kurze Zeit später änderte Hitler sein Konzept für den Kohnstein. Es wurden dringend unterirdische Fabrikanlagen für den Flugzeugbau sowie für die neue Superwaffe V 1 benötigt. Also drosselte man die A4 (V2) Fertigung im Kohnstein und nutzte die freigewordene Produktionsfläche zur Fertigung von Flugzeugmotoren und das ältere Raketenmodell V1 (V stand für Vergeltungswaffe).

Gleichzeitig wurde am Kohnstein ein weiteres unterirdisches Werk geplant. Die Junkers-Werke sollten in 600.000 qm Flugzeuge bauen. Doch daraus wurde nichts mehr. Auch wurden in dieser Südharzregion weitere kleine unterirdische Waffenproduktionsstätten errichtet, so z.B. in der Heimkehle in Uftrungen.

Die Produktion von V-Waffen nahm weiter seinen lauf, Fehler und Mängel traten auf und wurden behoben. Auch Chefkonstrukteur Wernher von Braun besuchte 1944 den Kohnstein um sein Wissen und seine Erfahrung einzubringen. Und dann, am 6. September 1944 startete die erste Rakete nach London und Antwerpen. Diese Marschflugkörper waren zwar in ihrer militärischen Wirkung zu vernachlässigen, ihre psychologische Wirkung war aber umso größer. Besonders die V2, die Überschallgeschwindigkeit erreichte, war weder abzufangen noch zu orten. Die urplötzlichen Einschläge, ohne vorherigen Flugalarm, lösten Panik aus. Insgesamt wurden etwa 3200 Raketen eingesetzt, von denen allein 1358 Stück auf die grausame Reise nach London geschickt wurden.

All dies half den Nationalsozialisten nichts. Die Sowjetarmee hatte die Deutschen Truppen im Osten geschlagen und erreichte bei ihrem Vormarsch mit Beginn des Jahres 1945 die östliche Grenzen Deutschlands. Die deutsche Heeresführung musste schnellstmöglich die östlichen Rüstungsfabriken und Heeresstäbe verlagern. So trafen in der Südharzregion innerhalb weniger Wochen gewaltige Personal- und Materialtransporte ein. Unter anderem wurden die kompletten „Elektromechanische n Werke GmbH, Karlshagen, eine Tarnbezeichnung für die V-Waffenwerke Peenemünde, nach Bleicherode in die Kaliwerke verlagert. Anfang März zog noch Reichsminister Albert Speers Staatssekretär Karl-Otto Saur mit viel Pomp in den Kohnstein ein, aber schon einen Monat später setzte er, sowie viele leitende Angestellte und Spezialisten, sich in die Alpen ab. Unter ihnen war auch war auch der geniale Konstrukteur und Vordenker Wernher von Braun.

Der Krieg war verloren! Die Sowjetsoldaten rückten von Osten auf Mitteldeutschland vor und die Alliierten-Truppen von Westen. Angesichts dessen begannen die Nationalsozialisten den Kohnstein und die anderen interirdischen, Südharzer Rüstungsfabriken und die zugehörigen Lager zu räumen. 40.000 KZ-Häftlinge mussten evakuiert werden, ein Unterfangen, das nicht mehr geheim gehalten konnte. Über 1.000 Häftlinge kamen bei einem alliierten Luftangriff in Nordhausen ums Leben. Die anderen wurden in riesigen Elendszügen nach Westen getrieben, unter anderem nach Bergen-Belsen in die niedersächsische Heide.

Dazu Zeitzeuge Dr. Dietrich Güstrow, in seinen Aufzeichnungen „In jenen Jahren“: „Am Spätnachmittag dieser Tage (14.- 15.April 1945) bewegte sich ein endloser Zug vom Harz (aus Richtung Friedrichsbrunn) herunter durch unser Dorf (Bad Suderode). Schleppenden und taumelnden Schrittes zogen abgemagerte Elendsgestalten, von älteren, oft verwundeten Soldaten bewacht, die Straßen entlang. Von der Bevölkerung ließ sich niemand blicken, nur verstohlene Blicke aus Seitenstraßen und hinter Gardinen hervor galten den wandelnden Skeletten, die eigentlich gestreifte Jacken und Hosen trugen, die wie Pyjamas aussahen. Es waren KZ-Häftlinge, die von den unterirdischen Fabrikationsanlagen der V-Waffen bei Ilfeld im Südharz nach Bergen-Belsen getrieben wurden.

Dergleichen hatte man noch nie gesehen, nur aus dunklen, hinter vorgehaltener Hand weitergegebenen Gerüchten hatten die Menschen von den Zuständen in den Konzentrationslagern gehört. Hier sah man einen Zug des fürchterlichsten Elends, schweigend schleppten sie sich mühselig weiter, ab und zu Kommandorufe der Bewacher, dann Klobenhiebe, wenn sich ein Müder an den Straßenrand setzte. Mitunter gab es einige alte Leute, die Brot und Wasser reichen wollten - es war ein sehr warmer Frühlingstag -, aber sofort sprangen die Wachposten dazwischen. Wegbleiben! Runter von der Straße! Mich packte das kalte Grauen, wenn ich daran dachte, wie die Sühne für solche Schuld aussehen würde, die hier auf das eigene Volk geladen worden war. Und noch wussten wir nichts von den Millionen der Vergasten und Ermordeten.“

Tage vor diesem Ereignis in Bad Suderode, am 4. April 1945, schaffte die Heeresversuchsanstalt Peenemünde noch ihre Akten und Forschungsdokumente für die V-Waffen, vom Kohnstein in die Erzschächte in Dörnten bei Goslar. Aber dort wurden die wertvollen, etwa 10 Tonnen, Dokumente von den Amerikanern gefunden und vor Einmarsch der Engländer weggeschafft.

Die amerikanischen Truppen nahmen am 10. April 1945 Bleicherode und den Kohnstein ein. Staunend sollen sie vor dem weltgrößten, unterirdischen Rüstungswerk gestanden haben. Schnell wurden die zurückgelassenen Raketen und Technik in „eigene Sicherheit“ gebracht und die zurückgebliebenen Raketenexperten wurden sofort für die USA verpflichtet. Das war freilich nicht im Sinne der vorher gefassten Beschlüsse der Alliierten und der Sowjetunion. Etwa 100 Raketen sowie Unmengen von Bauteilen, insgesamt 16 Schiffsladungen, wurden vor Einmarsch der „Russen“ abtransportiert und von Antwerpen nach New Orleans verschifft.

Die Sowjets kamen erst am 5. Juli nach Niedersachswerfen. Und der gesamte südöstliche Teil des Harzgebietes sollte ihnen dann, gemäß Potsdamer Abkommen, auch zugesprochen werden. Was sie noch fanden waren nur zurückgelassenen Reste der Amerikaner, insbesondere Produktionsanlagen und Bauteile. Aber sie hatten den Standortvorteil! Im Südharzer Umkreis gab es noch zahlreiche Experten und Fachkräfte, die zwangsverpflichtet werden konnten. Schnell konnte so der technologische und strategische Rückstand gegenüber den Amerikanern aufgeholt werden. Bis Herbst 1946 arbeiteten im Raum Nordhausen noch Sowjets und zwangsverpflichtete Deutsche, zuletzt angeblich 6.000 – 7.000 Personen, zusammen am Raketenbau. Dann zogen sich die sowjetischen Militärs urplötzlich in die Sowjetunion zurück. Und der Kohnstein – das Geheimprojekt Mittelbau – wurde gesprengt.

Am 30.Juni 1945 zogen die Amerikaner auch aus der gegenüberliegenden, nordöstlichen Harzregion ab. Nach Gernrode, in das abgelegene Haus Hagental, hatten die Junkers Flugzeugwerke zu Kriegsbeginn ihre Konstruktionsabteilung verlegt. Gefertigt wurde dann unter anderem auch im Kohnstein. Bei ihrer Räumung des Kohnsteins erhielten die Amerikaner auch Kenntnis von dem Technologiestandort Gernrode. Am 30. Juni zogen sie für immer ab und überließen den Sowjets dieses Gebiet. Vorher transportierten sie aber tonnenweise Konstruktionsunterlagen aus Gernrode ab.

Philosophisch betrachtet, ist der II. Weltkrieg bis heute nicht zu Ende. Die Siegermächte haben das technologische Vernichtungspotential der Deutschen Nationalsozialisten Außerlandes geschafft, weiterentwickelt und perfektioniert und gegen neue, andere Gegner eingesetzt. Ost gegen West während der Zeit des „Kalten Krieges“ , in Korea, in Vietnam, in Afghanistan usw. – und immer mit dabei Raketen und Flugzeuge mit NS-Technologie.

Und Schizophrenie des Schicksals, ausgerechnet Deutschlands führender Raketenexperte Wernher von Braun, bringt die Amerikaner auf den Mond.

Heute gibt die KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora Auskunft über dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Die Gedenkstätte ist zugleich Museum, Ausstellung und Forschungsstandort. Sie umfasst das Häftlingslager Dora, das SS – Lager, das Industriegelände Mittelbau und den Kohnstein-Stollen, der in den letzten Jahren wieder zugänglich gemacht wurde. In einem neu gebauten Museum wird eine Dauerausstellung zur Geschichte des KZ – Mittelbau Dora sowie wechselnde Wanderausstellungen gezeigt. In diesem Gebäude sind auch das Besucherzentrum sowie die Archive, Seminarräume und das Museumscafe integriert.

Weitere Informationen zur Gedenkstätte finden sie unter https://www.dora.de

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Copyright der Fotos und der Texte Bernd Sternal 2009